Die Inflation und ihre Auswirkung auf Geldanlagen

Die Inflation und ihre Auswirkung auf Geldanlagen

Die Weihnachtsvorlesung zur Inflation von Herrn Prof. Dr. Dr. Hans-Werner Sinn vom 20.12.2021 veranlasste uns zu diesem Beitrag. Dieser ist dabei eng an die Vorlesungsinhalte angelehnt. Wir haben uns erlaubt, diese ein wenig einzukürzen und um den Bereich der Geldanlage in der Schlussfolgerung zu ergänzen.

Persönlich schätze ich Herrn Prof. Dr. Dr. Sinn sehr. Sein Scharfsinn und die detaillierten Analysen lassen Aufhorchen, geben Denkanstöße und mahnen – in diesem Fall – zur Sorge. Wieso die jetzige Situation als herausfordernd zu bewerten ist, leitet er sehr gut her.

Das Video ist hier verlinkt. Die Inhalte sind im Beitrag zusammengefasst.

Die Inflation und ihre Auswirkungen auf Geldanlagen! – das Wichtigste in Kürze

  • Die Folgen der Finanz-/Immobilienkrise nach 2008 mit all den Anleihenkäufen der Zentralbanken und die Finanzierung der Pandemie und ihre Folgen haben die Geldmenge versechsfacht.
  • Der gestiegenen Geldmenge allein wäre einfach entgegenzuwirken. Die Europäische Zentralbank könnte die Zinsen anheben und so Liquidität wieder abziehen. Die verringerte Nachfrage nach ’neuem Geld‘ würde die Inflation senken.
  • Zwei Faktoren lassen diese Lösungen schwer erscheinen. Einerseits ist die Schuldensituation in vielen europäischen Ländern kritisch. Andererseits stecken die nationalen Banken in einer Liquiditätsfalle, weshalb die Geldmenge unter hohen Verlusten abfließen müsste.
  • Realwertgesicherte Titel sind erforderlich, wenn Sie Ihr Vermögen erhalten wollen. Das Modell der vier klassischen Kapitalmärkte wird noch wichtiger zu berücksichtigen, um Gelder sicher anzulegen.
  • Die Teile Ihres Vermögens, welche erst mittel- und langfristig zur Verfügung stehen müssen, sollten angelegt werden. Das kann in aktiven Investmentfonds oder passiven ETFs erfolgen. Als sicherheitsorientierte:r Anleger:In können Sie Mischstrategien wählen, die das Risiko eines Aktienmarktes stark reduzieren.

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Die wundersame Geldvermehrung

Die Geldmenge der Zentralbank im Euroraum (Fachtermini: M0 als Bargeld und Girokonten der Banken bei der Zentralbank) ist in der Zeit von 2008 bis 2021 von einer Billionen Euro auf sechs Billionen Euro angewachsen. Ende 2019 und damit vor dem Beginn der Pandemie lag die Geldmenge bei 3,2 Billionen Euro.

Besonders wichtig ist dabei zu erwähnen, dass der Geldüberhang im dritten Quartal 2021 bei 4,9 Billionen Euro lag im Vergleich zum Juni 2008. Für ein mögliches Inflationsszenario ist dieser Fakt entscheidend. Dies bedeutet, dass zwei Drittel des Geldes bei den nationalen Banken auf den Einlagekonten beim Eurosystem liegt.

Die Geldmenge bei den nationalen Banken (M1 als Bargeld und Sichteinlagen bei Banken) liegt dagegen lediglich bei 1,1 Billionen Euro. Wegen der Differenz zwischen M0 und M1 spricht Herr Prof. Sinn von der Liquiditätsfalle bei den nationalen Banken.
Im Vergleich zur USA ist im Euroraum die Geldmenge fast doppelt so stark gestiegen.

Dabei könnte die Europäische Zentralbank doch einfach die Zinsen anheben, das viele Geld wieder einsammeln und der Inflation entgegentreten. So einfach ist es leider nicht. Die Europäische Zentralbank hat sich ihrer Handlungsmöglichkeiten selbst beraubt. Die Bremse einer Inflation ist defekt.

Die Zerstörung der Inflationsbremse

Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank dient der Inflationssteuerung. Die Inflation ließ in den letzten Jahren lange auf sich warten. Somit blieb die Geldpolitik – mit einem sehr niedrigen Leitzins und dem groß angelegten Kauf von Staatsanleihen – locker. Diese beiden Elemente der Geldmengensteuerung führen zu zwei Tatbeständen.

  • Die Schuldenstaaten wollen keinen Zinsanstieg. Würden diese auch nur leicht steigen, wäre eine Neuverschuldung schnell zwei bis dreimal so teuer.
  • Der zweite Grund ist nicht trivial. Die nationalen Banken kämen in Schwierigkeiten. Der Rückverkauf der Staatsanleihen an die Europäische Zentralbank würde die Kurse der Anleihen absinken lassen und zu einem Verlust in den Bilanzen der Banken führen. Die Eigenkapitaldecke der Banken ist in der Regel gering, sodass diese in Schwierigkeiten kommen würden.

Nach dem Beginn der Käufe der Staatspapiere stiegen deren Kurse, weil die Zentralbank die Nachfrage danach künstlich erhöhte. Ausschüttungen führten zu realen Gewinnen. Das weitere Kapital flüchtete in Aktien und Immobilien. Um die Tragweite des Problems zu verstehen, versinnbildlichen wir uns noch einmal die Zahlen. Die Zentralbank hat nahezu 4,9 Billionen Euro an Staatsanleihen aufgekauft. Das sind 4.900 Milliarden Euro. Hier zeigt sich die gesamten Schwierigkeit und die Herausforderung für die Europäische Zentralbank.
Die beiden Inflationsbremsen (Steigerung der Zinsen und Rückkauf der Staatsanleihen) dürften nur bei einem sehr radikalen Kurs der Europäischen Zentralbank zum Zuge kommen. Die Folgen wären Zahlungsschwierigkeiten bei Staaten und nationalen Banken.

Die Inflation lässt sich also schwierig abbremsen. Woher kommt sie eigentlich?

Die Anstoßeffekte einer Inflation

Ausgelöst wird die Inflation durch einen Überhang der Nachfrage über das Angebot. Die lockere Geldpolitik allein ist nicht ursächlich für eine Inflation; sie erschwert nur das Abbremsen selbiger.

1. Die Flucht in das Betongold (Immobilien): Seit vielen Jahren steigen die Preise der Bestandsimmobilien. Folglich wurden immer mehr Neuimmobilien gebaut, anstatt teurer Altbauten zu erwerben. Die Bauindustrie erlebte einen gewaltigen Wirtschaftsboom. Die hier entstandene Inflation zählt nicht zur Konsumgüterinflation.

Produktionsfaktoren wie Arbeitskräfte und Material wurden anderen Sektoren der Wirtschaft entzogen. Dies führte zu Preissteigerungen bei verschiedensten Vorprodukten und das eben auch in ganz anderen Wirtschaftszweigen als in der Bauindustrie.

2. Die Finanzierung der Staaten und der EU mit billigen EZB-Krediten: Der Anreiz für billige Schulden war und ist sehr groß. Weil auch die Erwartung groß war und ist, dass die Politik des günstigen Geldes lange Bestand haben wird.

Staatsverschuldung bedeutet Dampf im System. Der Staat entzieht dem Privatsektor keine Steuern, um das Geld anderswo zu verausgaben. Er nimmt scheinbar niemandem etwas weg und gibt dabei Geld aus. Er finanziert Sozialleistungen oder kauft Autobahnen beziehungsweise lässt diese bauen. Somit entsteht eine gesamtwirtschaftlich hohe Nachfrage nach verschiedensten Gütern.

3. Lockdown und Quarantäne: Die Pandemie grassiert noch immer. In Folge dessen werden Firmen und vor allem Häfen geschlossen. Hier wird es wichtig und kritisch! Viele Vorprodukte, die wir Europäer für unsere Endprodukte benötigen, kommen mittels Containerschiff aus den Schwellenländern China oder Indien. Häfen sind teilweise durch Quarantänemaßnahmen blockiert. Schiffe müssen zwei Wochen auf See warten bevor sie in den Häfen ihre Ladung löschen und aufnehmen dürfen. Dies führt zu einer Angebotsverknappung in Europa.

Die Inflation ist schon mit großer Macht zugange

Nach aktuellen Daten von Eurostat liegt die Inflation im Euroraum bei 4,9 Prozent; in Deutschland etwas höher bei 5,2 Prozent; in den USA bereits bei 6,9. Die Absenkung der Mehrwertsteuer in Deutschland wird einen Einfluss auf die Inflation haben. Dieser ist als gering einzustufen.

Geldentwertung

Manche mögen die aktuelle Inflation noch zu den temporären Objekten zählen. Noch deutlicher wird es, wenn wir auf einen anderen Preisindex schauen. Das ist der, der gewerblichen Erzeugerpreise.

Was gewerbliche Erzeugerpreise sind, lässt sich am Besten am Konsumgüterpreisindex beschreiben. Die ’normale‘ Inflation wird an den fertigen Endprodukten gemessen, die an uns Konsumenten:Innen gehen. Bis ein Produkt im Verkauf landet, gibt es in der Regel viele Zwischenprodukte. Die Inflation dieser Zwischenprodukte wird durch die gewerblichen Erzeugerpreise erfasst. Am kurzen Ende ist diese signifikant.

Die gewerblichen Erzeugerpreise sind im Vergleich zu 2020 stark gestiegen.

  • Schweiz 3,4 Prozent
  • Frankreich 14,9 Prozent
  • Deutschland 17,5 Prozent
  • Italien 25,3 Prozent
  • Niederlande 27,7 Prozent

Die Inflation ist präsent. Noch zeigt sie sich nicht in den Endprodukten. Das Statistische Bundesamt liefert leicht andere Daten. Im Kern trifft es den selben Tatbestand. Seit 1951 lagen wir nicht mehr bei einem so hohen Inflationswert.

Wenn das Angebot bereits verknappt ist und die Firmen nicht liefern können, dann ergibt es keinen Sinn, die Nachfrage mit Schulden zu stimulieren. Diese Schuldenpolitik ist inflationär.

Inflation

Die ökonomischen Gefahren der Inflation

Eine Inflation ist eines von wenigen Mitteln eines Staates für die Entschuldung. Nichtsdestotrotz birgt sie gravierende Gefahren für Wirtschaft und Bürger:Innen.

  • Lohnbezieher, Rentner und Sozialleistungsbezieher verlieren Realeinkommen.
  • Sparguthaben, Bausparverträge, Riester-Renten, Basis-Renten, betriebliche Altersvorsorgen und klassische Lebensversicherungen werden entwertet.
  • Langfristige Festzinskontrakte (Kredite, Anleihen) sind mit beidseitigem Risiko behaftet, langfristige Investitionen werden reduziert.
  • Scheingewinn- und Scheinzinsbesteuerung reduzieren die Investitionen nochmals.
  • Die heimliche Progression belastet die mittleren Einkommen.

Beschwichtigungspolitik der EZB

Die Europäische Zentralbank definierte am Vorbild der deutschen Bundesbank im Maastricher Vertrag das vorrangige Ziel der Preisstabilität. Seit damals wird das Ziel immer wieder schleichend uminterpretiert. Noch 1998 sollte die Inflation unter zwei Prozent betragen. 2003 beschloss der Rat der Europäischen Zentralbank die Senkung auf unter zwei Prozent, aber nahe bei zwei Prozent. 2011 hieß es dann Erhöhung auf unter zwei Prozent, aber nahe bei zwei Prozent. Der Rat entschied sich 2021 für ein symmetrisches Inflationsziel von zwei Prozent. Die derzeitige Chefin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde ließ verlauten, dass zwei Prozent Inflation keine Obergrenze mehr sei.

Die Selbstverstärkungseffekte: Inflation in Wellen

Lohn-Preis-Spirale: In Folge einer Inflation werden Gewerkschaften Lohnerhöhung fordern und auch bekommen.

Inflationserwartungen: Der Glaube an eine steigende Inflation führt zu Vorziehkäufen.

Planung von Unternehmen: Es gibt geplante Preiserhöhungen im Handel, bei Dienstleistern, im BauGewerbe und beim verarbeitenden Gewerbe. Firmen wollen die Preise erhöhen.

Weitere Inflationsschübe schon absehbar

1. Anhebung des Mindestlohns um 25 Prozent von 9,60 Euro auf zwölf Euro und das aus legitimen Gründen.

2. Versteckte Verschuldung der neuen Koalition: Kreditaufnahme durch bestehende staatliche Gesellschaften; Streckung der Tilgung durch Anpassung an EU Regeln; Nachtragshaushalt für Klimazwecke

3. Dollar-Euro-Zinsdifferenzial: Die Zinsen für Staatsanleihen mit einer zehnjährigen Laufzeit sind in Deutschland seit Mitte 2019 negativ. Für die gleichen Staatspapiere liegt der Zins in den USA bei knapp unter zwei Prozent. Diese Differenz führt dazu, dass Anleger nach Amerika laufen. Durch den Tausch der Gelder in Dollar wird diese Währung stärker nachgefragt. Der Dollarkurs geht hoch; der Eurokurs runter. Somit werden Importe teurer und führen zu einer importierten Inflation.

4. Rentner produzieren nichts, wollen aber konsumieren. Die demographische Entwicklung in Deutschland führt dazu, dass sich die Generation der Babyboomer in den kommenden Jahren zur Ruhe setzt. Die Nachfrage steigt und führt somit zu einem inflationären Grundszenario in den nächsten Jahren.

5. Die Energiewende wird die Produktionskosten und die Inflation vorantreiben. Bei der Endenergiestruktur 2020 machen erneuerbare Energien 17 Prozent des gesamten Energiebedarfes neben Raumwärme, Warmwasser, Prozesswärme und Verkehr aus. Es ist ein ambitioniertes Ziel in den verbleibenden 24 Jahren bis 2045 die 83 Prozent zu liefern, wenn wir uns bewusst machen, dass es bis dato 20 bis 30 Jahre gedauert hat, die 17 Prozent zu erreichen.

Schlussfolgerungen für die Geldanlagen

Sollten sich die oben beschriebenen Punkte zur Inflation auch nur zum Teil bewahrheiten, wird es deutliche Auswirkungen auf Ihre Geldanlagen haben. Summa summarum bleiben von den vier klassischen Kapitalmärkten nur zwei übrig, die sinnvoll erscheinen. Das sind der Immobilien– und der Aktienmarkt.
Der Geldmarkt wird mit Giro- und Tagesgeldkonto für den Notgroschen herhalten können. Ferner muss kurzfristig benötigte Liquidität dort vorgehalten werden.
Im Anleihenmarkt können wir Staats- oder Unternehmensanleihen vorfinden, die in defensiven Mischstrategien hilfreich sind. So kann das Risiko eines Aktienmarktes reduziert werden. Als alleinige Anlage kommen Anleihen nicht in Frage.

Realwertgesicherte Vermögenswerte sind das Credo. Immobilien und Aktien sind realwertgeschützt. Aktien sind sogar Inflationsgewinner. Ein Großteil der Firmen sind nominal verschuldet. Durch eine erhöhte oder hohe Inflation sinkt der Grad der Verschuldung was sich wiederum positiv auf die Aktienkurse auswirkt.

Emotional wird Betongold in Deutschland übergewichtet. Eine Immobilie lässt sich anfassen. So lang diese aus Fremdkapital finanziert wird, ergibt es ganz klar Sinn einen Teil Ihres Vermögens darauf zu verteilen.

Aktien als Teile von Unternehmen dagegen sind abstrakter. Sie sind das fungibelste (handelbarste) Element von einer Wirtschaft. Deswegen schwanken sie teilweise stark und wir als Anleger:Innen müssen das aushalten. Die Argumente der Flexibiltät und der Inflationsgewinner sprechen klar für einen großen Teil des Vermögens in dieser Anlageklasse. Und wie immer ist cash immer noch king!

Macht eine Immobilie glücklich?

Macht eine Immobilie glücklich?

Einleitung zur Immobilie

In diesem Beitrag soll es um die Immobilie gehen. Des Deutschen – neben dem Auto – zweitliebstes Kind. Wir wollen uns der Frage stellen, ob eine Immobilie glücklich machen kann.

Zunächst einmal möchte ich Folgendes festhalten. Im eigenen Haus wohnen und auf eigenem Grund stehen: großartig! Die eigenen Obstbäume verschneiden und auf der eigenen Wiese grillen: fantastisch!

Und dies soll auch kein Plädoyer gegen die eigenen vier Wände werden. Ich finde Immobilienbesitz toll. In der Regel sind Immobilienbesitzer am Ende ihres Lebens sogar vermögender als Menschen ohne Betongold. Und um neuerdings Negativzinsen zu vermeiden, ist es deutlich besser als das Vermögen auf dem Konto liegen zu haben.

Begründet liegt dies im positiven Zwangssparvertrag – DER KREDIT! Die Motivation des Zurückzahles einer 25 Jahre laufenden Finanzierung ist deutlich größer als die intrinsische Motivation zum generellen Sparen für Personen ohne Baufinanzierung. Letztere gönnen sich dann doch das komfortablere Auto, nehmen einen Urlaub pro Jahr mehr mit und vieles mehr.

Das Eigenheim oder die Eigentumswohnung sind großartig und fantastisch und zugleich ein Luxus, den Sie sich leisten können müssen. Mit sich-leisten-können ist mehr als nur das notwendige Kleingeld gemeint. Ein Haus zu kaufen, hat Konsquenzen. Häufig liegen diese erst einmal im Vorborgenen.

Neben großartig und fantastisch ist das Eigenheim vor allem eines: massiv überschätzt. Der Wert der eigenen Immobilie ist derart emotional beladen, dass viele gute Gegenargumente nicht gehört werden wollen.
Zudem wird das Bild des eigenen Heims logischerweise durch Banken, Immobilienmakler und Bausparkassen viel zu einseitig beschrieben.

Dieser Beitrag soll die anderen Seite der selbstgenutzten Immobilien aufzeigen. Schauen Sie sich die beiden Videos an, könnten Sie fast alles gehört haben. Die zehn Gedanken von Holger Grethe fassen wir für Sie noch mal detailliert zusammen und erweitert sie.

Wir freuen uns auf Ihre Kommentare.

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Allgemeines

Ein erfolgreicher Investor hat seinen Hauskauf immer als sein zweitbestes Investment bezeichnet. Damit will er zum Ausdruck bringen, dass eine stabile Partnerschaft die wichtigste Grundlage für ein glückliches Leben ist. Unterstrichen wir dies von einer Harvard-Studie, die über die vergangenen 75 Jahre getätigt wurde. Darin werden belastbare Beziehungsebenen zu anderen Menschen hervorgehoben. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen. Das Ergebnis der Studie wundert also wenig.

Eines der großen Lebensziele ist für viele die eigene Immobilie. Es verspricht Glück, Geborgenheit und Stabilität. Nur leider hält das Versprechen nicht immer. Beleuchten wir das märchenhafte Bild der Immobilie in Deutschland von einer anderen Seite.

Erster Weg: Immobilien machen immobil

Singles und Paare mit einer Immobilie sind unflexibel. Bei Singles kann das passende Pendant 50 Kilometer entfernt wohnen. Ein Teil der Lebensgemeinschaft wird Abstriche machen müssen, wollen beide zusammenziehen. Das Argument die eigene Immobilie dann zu vermieten, ist richtig und gut. Unterschätzen Sie dabei bitte nicht die emotionale Bindung an die eigenen vier Wände. Das macht Entscheidungen manchmal schwierig.

Für Singles kann es ein Hindernis in der Partnersuche darstellen. Dem Namen nach macht eine Immobilie immobil. Damit könnte die Wahrscheinlichkeit auf eine gute und stabile Partnerschaft sinken.

 

Zweiter Weg: Weniger Zeit für die Liebe

Das Eigenheim ist ein Projekt, mit dem sich Paare lange Zeit ablenken können. Sie machen während des Hauskaufes oder Hausbaus eine anstrengende Phase durch. Liegt diese hinter ihnen, stellt sich der gleiche Alltag wie davor ein. Das Arbeiten an der Beziehung und das sich füreinander Mühen geben, könnte wieder im Vordergrund stehen.

Nach dem anstrengende Abenteuer eines Hausbaus oder Hauskaufes sind Familien augenscheinlich besser situiert und leben wohlhabender. Nur leider macht der Besitz nicht zwangsläufig glücklicher. Manche Bücher sprechen sogar davon, dass Besitz die Wurzel allen Übels ist. Die private Zeit der Zweisamkeit wurde während des Hausbaus drastisch eingeschränkt. Die Zeit und die Energie füreinander fehlten. Ohne es zu wollen, vernachlässigen sich die Gegenüber. Es fehlt die Zeit für alltägliche Gespräch. Und es fehlt sogar die Zeit für die Libido.

Ein temporäres Verschieben des ‚Beziehungsschwerpunktes‘ kann okay sein. Fehlen dauerhaft Dankbarkeit, Anerkennung und Zuneigung wird es in jeder Partnerschaft schwierig. Zudem verringert sich die Fähigkeit erkannte Konflikte anzusprechen. Fehlt dieses Maß an Kommunikation schaukeln sich unausgesprochene Konfliktherde unbewusst hoch. Das ist meist der Anfang vom Ende.

Dritter Weg: Noch weniger Zeit mit Kindern (dafür aber ein Eigenheim)

Paare erwerben Eigentum, weil sie Kinder haben oder welche im Zulauf sind. Die Kinder sollen ein eigenes Zimmer haben und im Garten eine Sandkiste vorfinden. Bereits ohne Immobilie fahren Eltern mit Kleinkindern am Anschlag. Wenn bisher wenig Zeit für Freunde, Sport, gemeinsame Zeit und Hobbies war, ist das Zeitbudget mit Eigenheim quasi Null.

Das Stresslevel in den ersten sechs bis acht Erziehungsjahren steigt stetig. Einer Phase im Leben, die für sich allein bereits eine ‚Extremsituation‘ darstellen kann, wird mit der eigenen Immobilie eine weitere Belastung hinzugefügt. Jede:r Projektmanager:In würde Alarm schlagen. Für das eigene Leben sind wir häufig blind. Damit nimmt das Potential für Missstimmungen zu. Das erwähnte Konfliktpotential haben Sie im zweiten Weg bereits gelesen.

 

Vierter Weg: Unrealistische Glückserwartungen gegenüber einer Immobilie

Alles Neue folgt der selben Logik. Nach der Anfangseuphorie stellt sich Alltag und Gewöhnung ein. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Das ist eine wichtige Erkenntnis. Nach der Phase des ‚forming‘ gehen wir ins ’storming‘ über. Das heißt, unterschwellige Konflikte treten erneut zu Tage. Es kommt im Alltag zu Konfrontationen. Das Gefühl des Vorwärtskommen schwindet. Egal in welcher Art von Team kommt es auf diese Phase an. Schaffen wir aus einer jeweiligen Situtation nicht das Beste zu machen, jagen wir unrealistischen Glückserwartungen im Außen hinterher. Herzlich Willkommen in unserer Gesellschaft. Oft folgen Paare bei ihrem Wunsch, ein Haus zu bauen, gesellschaftlichen Vorstellungen. Ein Haus zu bauen, gehört einfach dazu.

In der Glücksforschung wird dieser Prozess „hedonistische Adaption“ genannt. Diese Erkenntnis für das eigenen Verhalten kann für ein Leben in unserer heutigen Konsumgesellschaft wichtig sein. Die Rückbesinnung auf gesellschaftliche Werte und belastbare Beziehungsebenen ist sinnstiftender, als das neuste Smartphone, das nächstgrößere Auto oder eben das Eigenheim.

Damit ich mich hier richtig ausdrücke. Ich bin ganz klar für Fortschritt und Entwicklung. In unserem ökonomisierten Liberalismus fehlt mir nur die Erkenntnis, dass es vor allem um persönliche Entwicklung geht. Nur wenn es den Menschen in einer Gesellschaft gut geht, kann sich das Individuum um die Gesellschaft kümmern. In der persönlichen Nutzenmaximierung geht dieser Punkt leider unter und wir werden weder glücklich im Innen noch im Außen.

Fünfter Weg: Geldknappheit durch Eigenheim

Viele Finanzkonzepte mit dem Wunsch zur eigenen Immobilie sind knapp bemessen. Es kommt immer wieder vor, dass ich von Finanzierungen auf Grund mangelnden Budgets abrate. Die nächstbeste Hausbank finanziert das Objekt dennoch. Um mit den eigenen vier Wänden glücklich zu werden, sollten Sie mindestens 20% Eigenkapital mitbringen. Kostet ein Haus 300.000,- € sind 60.000,- € eigene Mittel ratsam.

Wollen Sie es vorsichtig kalkulieren, wäre noch etwas mehr Kapital schön. Beim Kauf einer Immobilie oder beim Bau wird es immer unvorhergesehene Ereignisse geben. Diese nicht eingeplanten zusätzlichen Kosten können zu zusätzlichem Druck führen. Kalkulieren Sie vorsichtig, so wie es jede:r Unternehemer:In machen sollte. Fertigen Sie eine detaillierte Einnahmen-Ausgaben-Übersicht an. Diese sollte auch nach dem Erwerb der Immobilie ein positives Saldo aufweisen.

Sechster Weg: Negative Folgen im Alltag

Gerade in urbanen Gebieten führt die eigene Immobilie häufig zu längeren Arbeitswegen. Entweder weil die Eigentumswohnung nicht in der Nähe der Arbeitsumgebung liegt oder weil der Weg aus dem Umland gefahren werden muss. Diesen Aspekt sollten Sie in Ihrem Alltag beachten. Diese längeren Fahrtwege haben noch weniger Zeit für Familie, Sport und Hobbies zur Folge. Das Konfliktpotential kann steigen und die Stimmung in der Partnerschaft sinken, weil viele Dinge nicht mehr machbar oder leistenbar sind.

Siebter Weg: Zu viel Arbeit für beide

Unerwartete Kosten und/oder weiteres Streben glücklich zu werden, führen unweigerlich zu mehr Arbeit. Hat die Gewöhnung uns erst einmal wieder, sollten es dann doch der zusätzliche Urlaub, das schönere Auto oder in einer Bestandsimmobilie das neue Bad oder die neue Küche sein. Aller Zusatznutzen kostet Geld, das durch zusätzliche Arbeit erwirtschaftet werden muss. Die Folge ist selbstredend weniger Zeit für die Familie.

Darüber hinaus muss für die Immobilie selbst Arbeitsleistung erbracht werden. Es fallen mehr Sorgearbeiten an. Haus und Grund müssen gepflegt werden. So besteht die Gefahr, zu einem Leibeigenen des Grundstück zu werden. Glauben Sie mir: das macht nicht glücklich, auch wenn wir es uns in der Situation selbst nicht eingestehen wollen.

 

Achter Weg: Scheidung

Circa 50 Prozent aller Ehen werden geschieden. Die durchschnittliche Dauer einer Ehe liegt dabei bei 14 Jahren. Eine schwierige Zeit für Partner und Kinder. Die eigene Immobilie macht die Trennung noch schwieriger und seelisch belastender.

Kommt es zur Trennung müssen schwierige Fragen beantwortet werden. Wer bekommt das Haus? Kann einer alleine es überhaupt bezahlen? Muss das Haus verkauft werden? Wer zahlt wen aus?
Aktuell findet vermehrt das Nest-Modell Anklang. Das heißt, dass das Haus als Wohnort der Kinder erhalten wird und beide Elternpaare abwechselnd aus ihren jeweiligen Wohnungen im Haus wohnen.

Die aktuellen Entwicklung an den Immobilienmärkten lässt Betongold als gute Geldanlage erscheinen. So bleiben zumindest bei einer Veräußerung keine Restschulden übrig. Darauf zu setzen, dass es systemisch mit der Preisentwicklung so weiter geht, macht nicht glücklich.

 

Neunter Weg: Die Immobilie als Harmoniefalle

In der Literatur wird bei einer selbstgenutzten Immobilie von der Harmoniefalle gesprochen. Die oben beschriebenen Aspekte können zu einer langfristigen Verschiebung des Beziehungsschwerpunktes führen. Es fehlt die Zeit für Dankbarkeit, Anerkennung und Wertschätzung. Konflikte können oder wollen nicht ausgetragen werden – der Harmonie zuliebe. Und genau das ist gefährlich.

„Denn Paare, die Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg gehen, sind einige Jahre später mit einer höheren Wahrscheinlichkeit getrennt, als Paare, die Konflikte offen austragen.“ schreibt Holger Grethe. Mehr Kommunikation ist immer besser als weniger Kommunikation. Konflikte besprechbar zu machen, macht glücklich.

Welche Wirkung hat eine Immobilie auf die Bereitschaft von Paaren, sich offen miteinander auseinanderzusetzen? In vielen Fällen entwickelt sie sich negativ. Das Bedürfnis nach Harmonie ist nach dem Hausbau noch größer als zuvor. Und so gefährdet das gemeinsame Haus paradoxerweise das Fundament der Ehe.

Zehnter Weg: Verzicht im Alter

Wenige schaffen es! Den Verkauf der eigene Immobilie im Alter. Der emotionale Wert ist zu groß. Und damit kann das Eigenheim der Altersvorsorge nicht dienen.

Hat das Haus erst einmal 25 Jahre oder mehr auf dem Buckel, beginnen so langsam die preisspieligen Reparaturarbeiten (Fenster, Heizung, Dach, neue rechtliche Auflagen). Jetzt könnte das Objekt wieder beliehen werden. Teilweise schwierig, weil Banken älteren Leuten keine Kredite mehr gewähren. Alternativ wird nichts an der Instandhaltung gemacht, weil alle finanziellen Mittel über die Jahre in die Tilgung geflossen sind. Gerade zukünftige Rentnergenerationen werden weniger Gesetzliche Rente beziehen.

Ernsthafte finanzielle Engpässe können die Folge sein. Es ist weniger Geld für all die angenehmen Seiten des Lebens verfügbar. So trägt die Immobilie dazu bei, dass seine Besitzer nach dem Kauf weniger glücklich sind, als zuvor. Sie überschätzen den langfristigen Einfluss der Immobilie auf ihr Zufriedenheitsgefühl. Und sie unterschätzen die hohen emotionalen Kosten, die der Verzicht auf Konzertbesuche nach sich zieht, die reduzierten Urlaubspläne, das früher so gewohnte Essen gehen und die selteneren Besuche bei entfernten Freunden. Vielleicht machen all diese Dinge doch glücklich.

Elfter Weg: Nachhaltigkeit

Sollte Ihnen der Lauf der Welt wichtig sein, dann hat die selbstgenutzte Immobilie in der Regel eine hohe negative Wirkung auf unseren ökologischen Fußabdruck. Häufig wird heutzutage mit Zement gebaut. Dieses Baumaterial besitzt die schlechteste CO2-Bilanz.
Darüber hinaus muss es auch immer größerer Wohnraum sein. Dieser muss vor allem beheizt werden. Mehr Raumwärme führt zu einem höheren Verbrauch von Öl oder Gas. (Exkurs: Vor 50 Jahren betrug die durchschnittlich verfügbare Wohnfläche pro Person circa 20 Quadratmeter. Heutzutage liegt dieser Wert bei 40 bis 45 Quadratmetern.)

Fazit

Im selbstgenutzten Eigenheim zu wohnen, ist kein Fehler. Die Bedeutung damit selbst glücklich zu werden, wird jedoch deutlich überschätzt. Der entgangene emotionale Nutzen meist über Jahrzehnte wird verkannt. Dabei könnte die Grundsteinlegung für die eigene Partnerschaft deutlich wichtiger sein. Vielleicht macht diese glücklich. Das ist aber nur eine steile Behauptung.

Zum Artikel von Holger Grethe